WUNDERBLOCK oder Das Imaginäre Archiv – das Projekt

Was und wen erinnern wir?

Wer entscheidet, was archiviert, bewahrt und gegenwärtig wird?

Und wie und warum erinnern wir uns?

Das Kollektiv mythen der moderne will diese Fragen an das Archiv öffentlich verhandeln und baut mit der Medien- und Theaterinstallation Wunderblock oder Das Imaginäre Archiv eine transparente und für jedermann zugängliche Bühne in den Stadtraum. 13 Jahre nach dem Einsturz des Historischen Archivs in Köln fragen wir: Wie steht es um das Gedächtnis der Stadt?

Die zweijährige Recherche in Kölner Archiven und zahlreiche Interviews mit Archivarinnen und Archivaren zeigen die Aktualität und Brisanz des Themas Archiv und unseres Umgangs damit. Wer hat Zugang zu Archiven und wer bestimmt, was hinein darf? Sensible Fragen nach Machtverhältnissen und die daraus resultierende Idee, ein öffentliches Archiv zu schaffen. Die Kunstaktion ist der Versuch eines Dialogs zwischen den Menschen im Archiv und denen außerhalb. So ist der Wunderblock nicht nur ein transparentes Archivregal, sondern auch Mediendisplay, Soundbox und Bühne, in der eine reale Person Tag und Nacht Archivarbeit leistet. Denn Erinnerungen sind subjektiv und damit so unterschiedlich wie die Menschen selbst.

Doch welche Dokumente haben die Archivarinnen und Archivare aus der Fülle des Archivs ausgewählt, um sie ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen?

Wie wollen wir in der Zukunft erinnert werden?

INSTALLATION 
Der Friesenplatz ist ein zentraler Platz in Köln, ein Transitraum im hektischen Stadtleben. Zwischen der Großskulptur von Heinz-Günter Prager und der Außenbestuhlung eines belebten Cafés steht im Oktober 2022 für vier Tage und Nächte der Wunderblock oder Das Imaginäre Archiv
Die leuchtend-transparenten Glascontainer sind außen Display für Bild- und Filmprojektionen und innen Arbeitsplatz der Archivarinnen und Archivare für die viertägige Tag- und Nachtperformance.
Einen Meter über dem Boden stehen die beiden vitrinenartigen Glascontainer, um die herum Klappstühle zum Verweilen einladen. Klänge, Bilder und Filme überlagern sich mit den Aktionen einer Person im weißen Kittel vor einem raumgreifenden Archivregal aus fest verschraubten und fahrbaren Regalteilen, gefüllt mit grauen Archivkartons und einem Arbeitsplatz. 
Die Installation macht neugierig: Was geschieht hier und für wen? 
Die visuelle Wirkung eines Pavillons und einer Bühne im Stadtraum funktioniert sehr gut in der Kölner Innenstadt und verwandelt den sonst eher als Durchgangszone bekannten Platz in einen Ort des Verweilens und Entdeckens: Ein vielschichtiges und sinnliches Erleben der Kölner Geschichte(n).

ARCHIVBOXEN AUS DEM HISTORISCHEN ARCHIV KÖLN 
mythen der moderne werden die letzten 57 Archivkartons, die zum Zeitpunkt des Einsturzes im Historischen Archiv Köln noch in Gebrauch waren, für die Installation Wunderblock zur Verfügung gestellt. Die massiven grauen Pappkartons mit der aufklappbaren Vorderseite und den handgeschriebenen großen Etiketten des Historischen Archivs werden visuell und inhaltlich zum integralen Bestandteil des Archivregals, der Installation und der Inszenierung. 
37 Themenblöcke in 57 Boxen bilden das Spielmaterial für elfmal acht Stunden Archivarbeit. Von außen sind die Originaletiketten des Historischen Archivs Köln gut lesbar und geben so einen Einblick in den Wissensspeicher des Wunderblocks. Die Inhalte der Archivboxen #49 – #57 widmen sich einem imaginären Archiv mit allerlei Artefakten, meist aus persönlichen Erinnerungsräumen. 

Wunderblock Archivboxen Nummerierung nach Stand im Regal und Inhalte:
Archivbox 1 # Köln im Mittelalter/ Seit Napoleon – Zweiter Weltkrieg 
Archivbox 2 # Antikes Köln
Archivbox 3 # Kölner Wirtschaftsgeschichte   Antike Gegenwart 
Archivbox 4 # Kolonialismus 
Archivbox 5 # Kolonialismus
Archivbox 6 # Kolonialismus
Archivbox 7 # Kölner Dom 
Archivbox 8 # Kirche 
Archivbox 9 # Kölsch Mundart / Sprache
Archivbox 10 # Frauen
Archivbox 11 # Frauen 
Archivbox 12 # Schriftstellerinnen 
Archivbox 13 # Das Lächeln der heiligen Ursula / Mona Lisa 
Archivbox 14 # Sex in the City / Feminismus 
Archivbox 15 # Auto / Straßennamen 
Archivbox 16 # Stadt/ Definition/ Mittelalter / Städtisch
Archivbox 17 # Archiv
Archivbox 18 # Köln Statistik 
Archivbox 19 # Korruption / Klüngel 
Archivbox 20 # Der Rhein 
Archivbox 21 # Alltag
Archivbox 22 # Alltag / Armut / Obdachlosigkeit 
Archivbox 23 # Karneval /Brauchtum 
Archivbox 24 # Rathaus und Rathausfiguren 
Archivbox 25 # Pest und Pandemie 
Archivbox 26 # Juden / Judentum 
Archivbox 27 # 2.Weltkrieg 
Archivbox 28 # Krieg Köln / Ukraine / Tagebücher Waldi, 1942-45,  A.J.Tagebücher 1940-45 
eigene Transkription
Seite  12
Archivbox 29 # Karneval # Kostüme
Archivbox 30 # Sinti und Roma Historie, Deportation Rückkehr
Archivbox 31 # Migration 
Archivbox 33 # Migration 
Archivbox 34 # Kultur / Afrika / Köln 
Archivbox 35 # Moschee 
Archivbox 36 # Moschee 
Archivbox 37 # Architektur 
Archivbox 38 # Architektur 
Archivbox 39 # Protest / Rechtsradikalismus / RAF Köln
Archivbox 40 # Kultur / Kunst 
Archivbox 41 # Kultur / Kunst 
Archivbox 42 # Kultur / Kunst 
Archivbox 43 # Kultur / Kunst 
Archivbox 44 # Kultur / Film
Archivbox 45 # Kultur / Musik / Theater 
Archivbox 46 # Imaginäres Archiv: persönliche Briefe / Postkarten, Dokumente
Archivbox 47 # Imaginäres Archiv: Benin Buch Reise, Urlaub 1950er – 1980er Jahre
Archivbox 48 # Imaginäres Archiv: Kladden Studienreisen 1950er Jahre, Liebesbriefe 
Archivbox 49 # Imaginäres Archiv: Journal femmes d´ Anjouschni, franz. Frauenmagazin 
Archivbox 50 # Imaginäres Archiv: diverse Fotos, Bühnenbild Modell
Archivbox 51 # Imaginäres Archiv: Orangen Seidenpapier, Memory 
Archivbox 52 # Imaginäres Archiv: Innere Zone, Fotoalben
Archivbox 53 # Imaginäres Archiv: Nummerierungsplaketten, Streichholzschachteln, Pressefotos
 Bücher, Zeitungsartikel 
Archivbox 54 # Imaginäres Archiv: Motoren Modellfotos, Negative, Comic, Glasnegative  
Archivbox 55 # Imaginäres Archiv: Pick-Pockets 
Archivbox 56 # Imaginäres Archiv: Presse Artikel älter, DIA Bibel 
Archivbox 57 # Imaginäres Archiv: Archäologische Zeichnungen, Topografische Karten

MEDIEN VISUELL
Der Wunderblock ist ein Display im Stadtraum, das besonders in den Abend- und Nachtstunden mit seinen leuchtenden Bild- und Filmflächen Passanten anzieht: Super8-, Film-, Overhead-, Diaprojektoren und Beamer erzeugen ein Kaleidoskop von Bildern aus unterschiedlichen Quellen: Da sind historisch relevante Filme der Kölner Filmerbe-Stiftung Hermann Rheindorf, die Kölner Bürger:innen privat vor dem 2. Weltkrieg, während der Kriegs- und in der Nachkriegszeit bis in die 1980er Jahre zeigen. 
Oder die künstlerischen Super8-Filme der subversiven Nippesser Filmtage, einem Festival der 1990er Jahre in Köln, und die selbstgedrehten Videos der Schüler:innen der Hauptschule Griechenmarkt , die ihre Erfahrungen während der Pandemie dokumentieren. Es gibt auch eine digitalisierte VHS-Kassette mit einem Fernsehbericht über ein Konzert von Mauricio Kagel, interpretiert von dem Sänger Wiliam Pearson, das 1986 im Kölnischen Kunstverein stattfand. 
Ganz privat wird Köln in einer Super8-Filmrolle aus den 1960er bis 1990er Jahren. Und ein Diaprojektor projiziert die schöne Farbqualität analoger Diasammlungen von Karnevalsfeiern des Aal Säu-Vereins und Fotos von Kölner:innen an ihren Urlaubsorten. Von bestechender fotografischer Qualität sind die schwarz-weißen Pressefotos aus der Keupstraße in den 1970er Jahren und die Farbbilder kurz nach dem NSU-Nagelbombenanschlag in der Keupstraße 2004, oder die Dokumentation der Hausbesetzerszene in Köln-Lindenthal.
Der sich überlagernde, ständig wechselnde Bilderstrom ist inhaltlich den Themenblöcken der Archivalien in den Archivboxen zugeordnet. Die visuell-mediale Installation erzeugt einen Sog miteinander korrelierender Erinnerungen. Was war wann und wo? Unser vages Erinnerungsvermögen wird durch die milchigen Projektionsflächen thematisiert, die beim Betrachten der Filme und Bilder eine leichte Unschärfe erzeugen.

MEDIEN AUDIO
Um die Glascontainer legt sich ein Klangteppich, eine Komposition verschiedener Klangquellen Kölns, dem Sound-Archiv von radio aporee entnommen, mit der eine spezifische akustische Atmosphäre erzeugt wird. Die dynamische Komposition ist mal leiser, mal lauter und wird überlagert durch die Umgebungsgeräusche des Friesenplatzes: Fieldrecordings von Glocken, Gesang und Trommeln eines Karnevalszuges, einer Messe im Dom, einer Vernissage, Gebrabbel, Kinderstimmen und Geschrei von Spielplätzen und vieles mehr laufen in einem vierstündigen Loop. 
Die Klänge verbinden sich zufällig und kongenial mit den Bild- und Filmprojektionen, etwa wenn sich der schwarz-weiße Super8-Film vom Kölner Hauptbahnhof mit einer Durchsage über Zugverspätung und Gleiswechsel eines ICE überlagert oder der Rhythmus von Karnevalstrommler:innen mit den Dias bunt geschminkter Kölner Jecken.

PERFORMANCE
Die Kunstfigur des „Ewigen Archivars“, die mythen der moderne den Akteur:innen als Leitfaden für ihre Performance mit auf den Weg ins Archiv gibt, ist bewusst männlich konnotiert. Die Bezeichnung verweist auf die historische Dominanz männlicher und weißer Personen im Archivwesen. Die metafiktionale Figur dient den neun Schauspieler:innen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und kultureller Herkunft als mentaler Sparringpartner: sich im Umgang mit den Archivalien reflexiv der Relevanz der eigenen Perspektive auf die Archivalien zu nähern. 
Der Arbeitsplatz wird mit einer Live-Kamera auf die Glasmembran übertragen, so dass die Zuschauer:innen den Archivar:innen bei der Arbeit zuschauen: beim Sichten handgeschriebener Briefe, beim Sortieren von Fotografien, Zeitungsartikeln etc., beim Notizen machen oder den eigenen Kopf auf die Arbeitsfläche legen, bei der Recherche zum Kölner Femizid oder zur heiligen Ursula mit ihren elftausend Jungfrauen. 
Jede Arbeitsschicht hat ein anderes Thema, mit einer Ausnahme: Das Archiv der Gefühle wird von allen gelesen. Am Ende einer Schicht legen die Archivarinnen und Archivare die Ergebnisse ihrer achtstündigen Arbeit in eine neue Archivbox.
Wunderblock oder Das Imaginäre Archiv ist als Experiment angelegt, das mit seinem unvorhersehbaren Verlauf die Performer:innen wie auch die Zuschauer herausfordert. 
Elf Arbeitsschichten á acht Stunden mit je einem, einer Performer:in. Deren schauspielerisches Können erzeugt eine hohe Präsenz der Aufmerksamkeit, die sich in der intimen Arbeitssituation, der Versunkenheit oder der Begeisterung für die Archivalien vermittelt.
So überträgt sich die scheinbare Einsamkeit des „Ewigen Archivars“ auf die Menschen auf dem Friesenplatz.

PARTIZIPATION
Die Installation im Stadtraum ist mit ihrer Transparenz als partizipatives Projekt angelegt. 
Die Glasmembran ist die Kommunikationsschnittstelle der Archivar:innen zum Publikum. Sie wird zur Schreib- und Pinnwand und nachts auch mal durchlässig, wenn nächtliche Gestalten vom Friesenplatz ins Mikrofon sprechen und singen, um zum imaginären Archiv beizutragen. 
Zufällig vorbeilaufende Passant:innen bleiben stehen, kommen wieder, setzten sich auf die weißen Klappstühle und hören die Geschichte(n) ihrer Stadt, sehen Filme, Dias und Fotografien aus Köln und von Kölner:innen. Nicht wenige wünschen sich sogar eine dauerhafte Installation des Imaginären Archivs in Köln.
Viele der Archivalien des imaginären Archivs sind von Kölner Bürger:innen, Vereinen und Initiativen. Sie überlassen ihre Dokumente, Filme und Fotografien vertrauensvoll für die Zeit der Performance mythen der moderne, wie die Kölner Filmerbe-Stiftung Hermann Rheindorf, Maro Drom – Kölner Sinte und Freunde e.V., Nippeser Filmtage e.V., Franz-Josef Heumannskemper und viele andere, siehe Seite 18.
mythen der moderne hat in den vergangenen Projekten Kinder und Jugendliche gleichberechtigt in die Konzeption und Umsetzung einbezogen. Für Wunderblock oder Das Imaginäre Archiv war die Zusammenarbeit mit Schülern der Hauptschule Großer Griechenmarkt mit einem schuleigenen Archivprojekt zu den Erfahrungen der Einschränkungen durch die Covid-Pandemie im Schulalltag kongenial. Aufzeichnungen von dialogischen Interviews, selbstgedrehten Filmen und Fotografien werden Teil des Wunderblock-Archivs.
Einem Presseaufruf an alle Kölner:innen folgen 13 Bürger:innen und übergeben ihre persönlichen Erinnerungen in Form von Zeitungsausschnitten, Dias, Geburtsanzeige des Sohnes (als erster Kölner in der Familie), Briefen, Tagebücher, Plakate, Programmhefte, Kassetten. Mit einer Eingangsquittung erhalten sie den Nachweis ihrer Schenkung, die damit offiziell zum Archivgut des imaginären Archivs wird.

Künstler:innen & Mitgestalter:innen

Künstlerische Leitung: Pia Janssen
Konzept und Recherche: Bettina Erasmy, Pia Janssen, Hannes Strobl
Autorin: Bettina Erasmy
Bild- und Filminstallation: Pia Janssen
Klanginstallation: Hannes Strobl
Projektleitung: Lydia Glup, Ruth Prangen
Assistenz: Ella Kühn
Performer:innen: Felix Bold, Joscha Creutzfeld, Sina Ebell, Ralf Harster, Burak Hoffmann, Aischa-Lina Löbbert, Katharina Reissdorf, Susanne Seuffert, Olcayto Uslu, Fee Zweipfennig
Foto- und Filmdokumentation: Tobias Schmücking
Voiceover: Antonia Bockelmann
Grafik: Parissa Charghi
Öffentlichkeitsarbeit: Heino Schütten
Medientechnik: Erik Denneborg projekt.tv
Medientechnische Mitarbeit: Philipp Gschwendtner, Javad Doroodgar
Auf- und Abbau: Oliver Bedorf, Rogelio Diaz


Mit freundlicher Unterstützung von

ArchivKomplex Kölner Initiative; anarchivTANZ deufert&plischke; BPJ; Marianne und Peter Brukschen, Ali Brukschen; ComeTogether e.V.; dublab – Joscha Creuztfeldt, DOMiD-Archiv, Köln – Beate Rieple, Bettina Just; Micha Das Bach; Georg Elben; Bettina Erasmy; Ford Archiv – Klaus Stollenwerk; Förderverein Geschichte in Köln e.V. – Dr. Christian Hillen; Dennis Freischlad; Frauke Gerhard; Orhan Gökkus; Gisela Henke; Franz-Joseph Heumannskämper; Historisches Archiv der Stadt Köln; Initiative Keupstraße ist überall; Artur Janssen; Michael Janssen; Pia Janssen; Hauptschule Großer Griechenmarkt – Tobias Jüttemeier; Kane Kampmann; Stefan Kebbekus; Jasper Kettner; Ella Kühn; Joachim Kühn; Kölner Filmerbe Stiftung – Hermann Rheindorf; Maro Drom – Kölner Sinte und Freunde e.V. – Krystiane Vajda, Markus Reinhardt; Ralf Maro; Mediafix GmbH; Nippeser Filmtage – Ana Motiér, Oliver Schneider; radio aporee – Udo Noll, Frank Schulte; Stiftung Rheinisch Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln; Herby Sachs, LVR-ZMB; Sequentia – Benjamin Bagby; Susanne Seuffert; Michael Sierp; Stimmen Afrikas – Christa Morgenrath; Dietrich und Katharina Schubert; Gregor Zootzky

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